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Trierer Geschichten

Dieser Herr kennt sich aus, sagt die Frau im Dommuseum. Der Herr ist so freundlich und kommt mit ihr vor die Tür, so dass sie beide gegenüber auf die Figurengruppe schauen können. Am Westportal der Liebfrauenkirche neben dem Trierer Dom.

„Diese Figuren am Eingangsportal… Ich habe eine solche Zusammenstellung noch nie gesehen.“

„Neues Testament, Petrus und Adam. Dann Eva, Johannes und das Alte Testament." 

„Altes und Neues Testament? Das sind doch die allegorischen Figuren Ecclesia und Synagoga! Die Kirche als Siegerin, das Judentum als Verlierer. Antijudaistisch, finden Sie nicht?.“ 

„Na ja, sag ich ja: Links ist das Neue Testament, die Kirche. Weil: Wir glauben ja an das Neue Testament und rechts sehen Sie das Alte Testament.“

„Die Grundlage des Christentums ist aber doch die ganze Bibel, das Alte und das Neue Testament. Sehen Sie, die Synagoga hat doch die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten in der Hand. Die gelten doch auch im Christentum...“

„Wir glauben aber eben an das Neue Testament. Die anderen nicht. Und für uns ist der eigene Glaube das Entscheidende. Andere können das ja anders sehen. Aber wir sehen das nun mal so!“ 

Später liest sie nach: Petrus, Adam und Eva sind „moderne Figuren“, sie wurden um 1990 ergänzt. Von Johannes, Ecclesia und Synagoga wurden Abformungen hergestellt: von den ursprünglichen Figuren, von denen ein Museum Formen für Abgüsse hatte. Das originale Figurenprogramm des Westportals war verschollen. Eine Kommission ergänzte die drei bekannten Figuren. Zu Johannes, dem Apostel, wurde Petrus, hinzugefügt – offenbar ein in der Patristik beschriebenes besonderes Duo unter den Aposteln. Johannes ist einer in der Legenda Aurea festgehaltenen Legende zufolge ikonographisch an der giftigen Schlange erkennbar, dem personifizierten Gift im Becher, den er in der Hand hält. Der neue Petrus erhielt ein Fischernetz statt des üblichen Schlüssels. Adam und Eva? Mit ihnen beginnt die Heilsgeschichte, die dann im Figurenprogramm mit Ecclesia und Synagoge endet. So war jedenfalls die Idee der Kommission, die für die Ergänzungen des Figurenprogramms und die Wiederaufstellung von Ecclesia und Synagoga in den 1970er- und 1980er-Jahren gesorgt hat. 1992 wurde das gesamte Ensemble öffentlich übergeben. Fast dreißig Jahre nach „Nostra aetate“, die Erklärung der Katholischen Kirche, die kurz vor dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 verabschiedet wurde. – „Wir glauben das nun mal so!“

Zwei Fragen bleiben: Was sagt das neue Figurenprogramm? Wer ist „wir“?